Freitag, 12. Dezember 2008

Spiritualität schafft Befreiung - Stefan Aulbach

Stefan Aulbach stellt in seinem Buch Spiritualität schafft Befreiung. Der Entwurf christlicher Existenz bei Juan Luis Segundo die Theologie eines Theologen vor, der wahrscheinlich am gründlichsten die spirituelle Dimension der Theologie der Befreiung herausgearbeitet hat.
Was Juan Luis Segundo für die europäische Theologie besonders interessant macht, ist sein strukturierter und konsequenter Ansatz, der von der Fundamentaltheologie ausgehend eine Theologie der Spiritualität entwirft. Das macht ihn gleichzeitig zu einem untypischen Vertreter der Theologie der Befreiung, denn anders als die meisten geht er nicht explizit von den Armen aus, um von dort aus seine theologischen Konzepte zu entwerfen, sondern er verankert seine Theologie in einer Weise, die europäischen TheologInnen vertraut und schlüssig erscheint.

Gott, Geschichte, Glaube und ideología (die im Unterschied zu dem bei uns sehr belasteten Begriff der Ideologie als etwas positives, fruchtbringendes verstanden wird) bilden die Grundbegriffe seiner Theologie. Hinzu tritt der Begriff, der die Subjektwerdung des Menschen in allen seinen Lebensvollzügen am deutlichsten beschreibt: die Befreiung.

Der fundamentaltheologischen folgt eine biblische Grundlegung, die schon den Weg zu einer befreienden Spiritualität zu weisen vermag: das befreiende Handeln Jesu von Nazareth und dessen befreiende Botschaft vom Reich Gottes werden nicht bloß vorgestellt und exemplifiziert, Segundo macht schlüssig und ohne holprige Konditionalpostulate deutlich, dass darin der Kern und der Höhepunkt des Wirkens des historischen Jesus und des auferstandenen Christus liegt.

Nur um kein Missverständnis aukommen zu lassen: Juan Luis Segundo entwirft keine Befreiungstheologie ohne Arme, ganz im Gegenteil: der Arme tritt im Zuge der theologischen Überlegungen immer wieder in den Mittelpunkt. Aulbach schafft es in seiner Zusammenfassung sehr gut, den LeserInnen deutlich zu machen, dass dem nicht deshalb so ist, weil Segundo als Befreiungstheologe die Armen dort haben wolle, sondern dass die zentrale Stellung der Armen in den biblischen und anthropologischen Fundamenten der Theologie grundgelegt ist.

Persönliches Highlight ist für mich die Gleichnisauslegung Segundos, die viele latent schlummernde Fragen und Zweifel in eine theologische Klarheit brachte, die mir persönlich zuvor gerade was die Gleichnisreden betrifft unbekannt war.

Dem Duktus der Theologie Segundos folgend geht Aulbach zum Abschluss seiner Darstellung auf mehrere Grundprobleme der Theologie der Spiritualität ein, die besonders im Wiener Kontext mehr als lesens- und bedenkenswert sind: Das Verhältnis von Volksfrömmigkeit und Spiritualität einerseits, das Verhältnis von Theologie und Spiritualität andererseits und die der Befreiungstheologie immer wieder aufgedrängte Frage der Positionierung zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Eine lohnende Lektüre für alle, die am Ende mehr von Spiritualität erwarten als die persönliche Versenkung im Gebet.

Aulbach, Stefan: Spiritualität schafft Befreiung. Der Entwurf christlicher Existenz bei Juan Luis Segundo, Verlag Peter Lang: Frankfurt am Main, 1992.
(Würzburger Studien zur Fundamentaltheologie, Band 10)
ISBN: 3-631-45078-8

1 Kommentar:

Stefan Silber hat gesagt…

Hallo RR,

das ist ja eine nette Überraschung. Hier hat jemand meine Diplomarbeit gelesen, verstanden und positiv rezensiert... sowas dürfte gerne öfter passieren :-))
Ich bin auf die Seite gestoßen, weil ich auf die "Anfragen an die Befreiungstheologie in Europa" aufmerksam geworden bin. Das sind spannende Fragen. Es gibt seit etwa drei Jahren eine Diskussionsplattform zur Vernetzung von Leuten in den deutschsprachigen Ländern, die zur Befreiungstheologie arbeiten. Sie findet sich unter www.befreiungstheologie.net.tc Die Frage, wie sich die Befreiungstheologie bei uns aufstellen müsste, ist wirklich nicht einfach zu beantworten.

Viele Grüße,

Stefan Silber (geb. Aulbach)