Die Vielfalt der Beiträge einerseits und die Unterschiedlichkeit der Perspektiven und Zugänge andererseits machen diesen Sammelband lesenswert - nicht nur für ExpertInnen und jene, die sich dafür halten, sondern auch und gerade für jene, denen die einleuchtende Plausibilität der Thesen des missionarischen Atheismus schon einmal ein bisschen zu plausibel vorgekommen ist.
Peter Strasser: Verletzte Gefühle und helle Köpfe. Ein Plädoyer für Begriffsstutzigkeit
Der Grazer Philosoph Strasser stellt die Brights, wie sich die Bewegung um Dawkins selbstbewusst nennt, etwas näher vor. Ein leicht ironisches aber durchaus ernstzunehmendes Plädoyer dafür, die von den Brights angeprangerte Begriffsstutzigkeit aller Andersdenkenden als eigene philosophische Haltung zu etablieren ist dann die logische Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen des ersten Teils, denn die Fragen zu stellen, die man einfach nicht stellt, ist Ausdruck der menschlichen Freiheit und jener der Wissenschaft.
"Was die Brights sind, definieren die Brights ausschließlich selbst." - S.19
Klaus Müller: Theismus unter Dauerbeschuss. Gottesglaube im Visier gegenwärtiger KulturkritikDer Beitrag des münsteraner Theologen und Philosophieprofessors Klaus Müller bietet einen Überblick über die Entstehung des Atheismus und die jüngere, atheistische Literatur. Damit legt Müller wahrscheinlich den umfassendsten Literaturbericht zum militanten Atheismus vor, legt dann aber noch die Finger in die offenen Wunden der Theologie, indem er jene Versäumnisse benennt, die seiner Ansicht nach das Entstehen solcher Argumentationsweisen begünstigt bzw. teilweise auch erst ermöglicht haben.
Rudolf Langthaler: Warum Dawkins' "Gotteswahn" die Gottesthematik und gleichermaßen den Anspruch der traditionellen Gottesbeweise in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt
Der Wiener Professor für Christliche Philosophie, Rudolf Langthaler, steuert selbst einen Beitrag bei, derzugleich auch der umfangreichste des Buches ist. Detailliert stellt er dar, wie Dawkins an allem vorbeigeht, was abendländisches, aufgeklärtes Denken bedeutet. Die erkenntnistheoretischen Scheuklappen Dawkins werden analysiert und es wird erklärt, warum Dawkins etwas gegen AgnostikerInnen hat und was Dawkins bei Kant zu seiner Thematik lesen hätte können.
Kurt Appel: Ursprung und Defizite von Dawkins' Religionsbegriff oder: Warum Dawkins die Religion aus seinen Voraussetzungen heraus nicht verstehen kann
Der Wiener Fundamentaltheologe liefert im Anschluss daran eine Zusammenfassung und kritische Würdigung von Dawkins' Mem-Theorie, die innerhalb des Denksystems des Naturwissenschafters - so Appels Resümee - genau jene Funktion erfüllt, die dieser selbst der Religion unterstellt: das schädliche und unerwünschte Beenden des Fragens und Forschungsdranges.
Jakob Deibl: Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel
Deibl, ebenfalls Wiener Fundamentaltheologe, zeigt auf, wie Dawkins nicht nur einen konsequenten Bibelfundamentalismus verfolgt, sondern auch die wissenschaftliche Befassung mit dem Studium von Textgattungen und anderen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen lächerlich macht, indem er diesen Beliebigkeit vorwirft.
Ludger Schwienhorst-Schönberger: Ein atheistisches Buch? Richard Dawkins' "Der Gotteswahn" aus der Sicht eines Alttestamentlers
In eine ähnliche Richtung entwickelt sich der Beitrag des Wiener Alttestamentlers, der verkrampft versucht, eine differenzierte Sicht zu entwickeln. Die mit Dawkins' fundamentalistischer Sicht einhergehende Ausblendung jeglicher Art von Kulturwissenschaften und Geisteswissenschaften wird nur implizit ausgeführt - scheinbar braucht jeder Sammelband auch ein paar Seiten zum Überblättern.
Martin Stowasser: Si tacuisses ... Richard Dawkins' "Der Gotteswahn" aus der Sicht eines Neutestamentlers
Stowasser bringt in seinem Beitrag das Kernproblem des fundamentalistischen Umgangs mit der Schrift auf den Punkt - und damit auch die Schwierigkeiten, die Richard Dawkins mit der Bibelforschung hat: Die biblischen Gottesbilder sind vielfältig, die ethischen Normen der biblischen Texte zeigen eine Entwicklung und keine punktuellen Verfügungen. Dafür bringt Stowasser Beispiele, erläutert die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in allgemein verständlicher Sprache und zeigt schließlich die Zusammenhänge zur Ausgangsfrage auf, nicht ohne darauf einzugehen, dass das Neue Testament auch einen deutlichen Widerspruch zu naivem Fortschrittsoptimismus bietet.
Ulrich J. Körtner: Evolution, Ethik und Religion. Zur Auseinandersetzung mit Richard Dawkins.
Der bekannte evangelische Ethiker Körtner steuert einen Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 2009 bei, womit er im Durchgang durch das Buch ein neues Fass öffnet: Ethisches Verhalten und Religion. Dabei diskutiert er auch die Frage nach einer Evolutionären Ethik und den Zusammenhang von Religion und Gewalt.
Christian Illies: Moral und Gene. Wo Dawkins recht hat, hat er recht.
Der Bamberger Philosoph Christian Illies unterzieht Dawkins einer logischen Untersuchung und liefert damit eine Systematik seiner Thesen, wie sie in dieser Kompaktheit wahrscheinlich noch nicht vorlag. Diese Thesen werden dann überprüft und diskutiert, wobei das Ergebnis gut argumentiert aber wenig überraschend ausfällt.
"Statt Evidenzen und Argumenten bietet er Anekdoten und Appelle." - S.292
Stattdessen zeigt Illies aber (in zumeist recht amüsanter Weise) anhand der 38 Kunstgriffe für den Erfolg einer Rede nach Arthur Schopenhauer, was vermutlich den Erfolg des Dawkinschen Schrifttums zu dieser Thematik ausmacht.Philip Clayton: Is it really Biology versus Religion? Looking for Dawkins' real Case against Religion.
Der Claremonter Philosoph Clayton liefert eine interessante Gegenüberstellung: Dawkins Behauptungen, die Beschaffenheit seiner Argumente und wie er argumentieren hätte müssen. Selbstverständlich werden auch diese Argumente noch einer kritischen Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis: Naturwissenschaft kann nicht im Widerspruch mit religiösen und spirituellen Antworten auf die Welterfahrung des Menschen stehen, ganz im Gegenteil macht sie diese noch signifikanter.
Friedrich Schaller: Dawkins' Gotteswahn aus der Sicht eines Biologen
Der emeritierte Wiener Zoologe Schaller steuert einen Beitrag zum Sammelband bei, der für die Wiener Zeitung im Jahr 2008 geschrieben wurde: Atheismus als Ersatzreligion. Leicht und flüssig lesbar, ohne philosophische Tiefen (aber auch ohne signifikante Untiefen) hätte dieser Artikel hervorragend auch an den Beginn des Buches gepasst.
Ulrich Kattmann: Wenn Wissenschaft zur Religion wird. Gott als wissenschaftliche Hypothese.
Der Oldenburger Emeritus stellt sich dem Problem aus der Sicht eines Biologen, der seine methodischen Grundlagen und wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen kennt und - was noch wichtiger ist - deren Grenzen erkennt. Eigentlich nur saubere Wissenschaftlichkeit - was verwundert ist dabei, dass man in den naturwissenschaften Bücher und Artikel darüber schreiben muss. Kattmann schließt mit einer Anekdote (oder einem Witz?) über eine Wissenschafterkonferenz zur Frage, ob Gott existiere: Am Ende wird ein alter Rabbi, der die ganze Zeit über kein Wort gesagt hat, nach seiner Meinung gefragt:
"Wissen Sie, Herr Vorsitzender, Gott ist so groß: Er hat es nicht einmal nötig, zu existieren." - S.339
Herbert Pietschmann: Der Quantifizierungs-Wahn. Replik auf Dawkins' Buch "Der Gotteswahn"
Der Wiener Physiker Pietschmann gehört wohl zu den Experten für die Theorie des naturwissenschaftlichen Denkens. So überrascht es auch nicht, dass sein Beitrag mit logischen Skizzen und kontextualisierten Argumentationsmodellen durchzogen ist, die unaufgeregt und sachlich zu den Schwächen der Thesen des militanten Atheismus (wie auch zu denen der Lieblingsgegner) führen. Pietschmann scheut sich auch nicht, in seinen Schlussfolgerungen die Unredlichkeiten Dawkins' deutlich zu machen und explizit zu benennen.
Walter Thirrig: Berkungen zum Buch "The God Delusion" von Richard Dawkins
Anders macht die Thirrig, der in einer Präambel diese Unsachlichkeiten ausblendet und formallogische Argumentationen vorlegt.
Christopher Meiller: Worte des Wahns. Für eine Gottesrede in Dawkins'schen Spuren
Der junge Wiener Philosoph und Fundamentaltheologe Meiller plädiert im letzten Beitrag für das Lernen von Dawkins: Sein Erfolg als populärwissenschaftlicher Autor gründet - so die These - in der Perfektion, mit der er die Techniken des Popularisierens anwendet: Reduktion der Informationsfülle und Narration statt Argumentation.