In Form eines wissenschaftlichen Essays präsentiert der Essener Christentums- und Kulturhistoriker Hubertus Lutterbach seine Untersuchung mit dem Titel Tot und heilig? Personenkult um "Gottesmenschen" in Mittelalter und Gegenwart. Im Einband werden zwei Personen bereits als zentrale Figuren herausgestellt: Papst Johannes Paul II. und Lady Diana zieren den Umschlag des Buches.
Es handelt sich hier um eine geisteswissenschaftliche Arbeit mit kulturwissenschaftlichen Zügen, in der es um die verschiedenschichtigen und pluriformen Aspekte der spontanen Heiligsprechung des verstorbenen Papstes durch das Kirchenvolk in Rom und anderorts geht, die mit einer Untersuchung über die Rolle der deutschen Medien bei diesem Heroisierungsprozess verbunden ist und dann auf Vergleichsmaterial ausgreift.
Lutterbach geht vom Heroenverständnis der Antike aus und verwendet - für kulturwissenschaftlich aber nicht religiös Interessierte wahrscheinlich eher irritierend - von Anfang an das Wort "Gottesmensch". Nach einer kurzen, überleitenden Erörterung über das Verständnis von Heiligkeit in den mittelalterlichen Heiligenviten steigt er in die Untersuchung des "subito santo"-Rufes nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. ein.
Die Aspekte des Lebens und Sterbens jenes Papstes, der für einen Gutteil der Bevölkerung westlicher Staaten der Inbegriff des Begriffes Papst war (heute Dreißig- bis Vierzigjährige haben seine Vorgänger gar nicht oder kaum bewusst wahrgenommen und erst seit viereinhalb Jahren sehen sie eine andere Person in dieser Funktion), splittert der Autor dann nach Kriterien für einen "Gottesmenschen" auf, die aus der einleitenden Analyse hervorgegangen waren. Dies tut er sehr sorgfältig und präzise, teils so akribisch, dass die Unterscheidungen zwischen den einzelnen Aspekten verschwimmen und beim Lesen immer wieder kleine déjà-vu-Erlebnisse auftreten (auch wenn er sich an keiner Stelle tatsächlich wiederholt).
Als Quelle dafür verwendet Lutterbach die Berichte in ausgewählten, deutschen Zeitungen und Zeitschriften, die in der Woche nach dem Tod des Papstes erschienen sind.
Was nach diesem umfangreichen Hauptteil folgt, ist ein papstgeschichtlicher Rückblick und ein Ausblick auf andere Persönlichkeiten, denen man vordergründig eine ähnliche Bedeutung zusprechen würde. Der durchaus interessante Blick auf Johannes XXIII., Lady Di und Ghandi wird allerdings durch den Versuch belastet, methodisch analog vorzugehen, was angesichts der Veränderungen der Medienlandschaft allein während des Pontifikats Johannes Paul II. schon vorweg das Ergebnis erahnen lässt.
Stichwort Ergebnis: Getrübt wird der Eindruck der Untersuchung von der Tendenz, bei den Vergleichsuntersuchungen immer wieder mehr oder weniger bestimmt ein Resultat zu erzielen und dieses dann mit den Beschreibungen aus der umfangreichen und genauen Untersuchung der medialen Wahrnehmung des verstorbenen Papstes in den deutschen Medien in Verhältnis zu setzen.
Das Buch, sorgfältig gearbeitet mit genauen Endnoten und einer umfangreichen Literaturliste, stellt eine durchaus interessante Lektüre für Zwischendurch dar, bei der man sich nicht scheuen sollte, auch einmal ein paar Kapitel diagonal zu lesen oder ganz zu überblättern. Zum Verständnis über die Formen heutiger Personenverehrung (und ihres anachronistischen Charakters in Zeiten naturwissenschaftsdominierter Rationalität) trägt es mehr bei als die Massen von "Mythos N.N."-Publikationen und -Dokumentationen, mit denen die Öffentlichkeit regelmäßig an irgendwelchen Jahrestagen überschüttet wird. Zudem ist es eine interessante Zusammenstellung der Geschichten und Legenden rund um Karol Wojtyła, doch das Interesse, das es durch seinen Untertitel weckt, kann es nicht zufriedenstellen.
Lutterbach, Hubertus.: Tot und heilig? Personenkult um "Gottesmenschen" in Mittelalter und Gegenwart, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt 2008. ISBN-978-3-534-20841-8
Sonntag, 13. Dezember 2009
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