Montag, 30. August 2021

Unfair Fashion - Dana Thomas

 Unfair Fashion. Der hohe Preis der billigen Mode, im Original Fashionopolis: the price of fast fashion and the future of clothes, erschienen bei Penguin Press 2019, ist ein lesenswerter Einblick in die Modewelt, der sich erfrischend von der sonstigen Literatur aus dem Bereich der Wirtschaftskritik unterscheidet, wohl auch weil die Autorin selbst die Modebranche von innen kennt und weit entfernt von einem schwarz-weiß-zeichnenden Bild der Branche ist.

Durch das Buch zieht sich die offene Art, in der die Verfasserin mit Modemacher:innen zusammentrifft, die ohne Ausbeutung und Umweltverschmutzung kreative und neue Ideen umsetzen, aber auch mit Aktivist:innen, die gegen die immer noch vorherrschenden Praktiken der Branche aktiv auftreten.

Bei der Lektüre lernt man so viele interessante Persönlichkeiten kennen, die mit ähnlichen und doch bei näherem Hinsehen unterschiedlichen Ansätzen daran arbeiten, Mode zu schaffen, ohne dabei Natur und Mensch auszubeuten. Wer kann, dem sei die Lektüre des englischen Originals empfohlen, die deutschsprachige Übersetzung ist zwar grundsätzlich sehr gut gelungen, fällt dann aber besonders gegen Ende immer wieder durch einzelne Phrasen auf, die man nur versteht, wenn man Rückschlüsse darauf zieht, was wohl im Original an dieser Stelle steht. 

Thomas, Dana: Unfair Fashion. Der hohe Preis der billigen Mode, riva: München 2020.

Donnerstag, 29. Juli 2021

Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? - Stefan Dollinger

  •  Schüler:innen mit Migrationshintergrund, die die österreichische Standardsprache für einen Dialekt halten, aber alles Bundesdeutsche, möge es auch noch so dialektal sein, als Hochsprache akzeptieren,
  • der eigene Nachwuchs, der einen plötzlich mit "Guck mal, Mama!" anspricht,
  • Jugendliche, die den Fernseher "anmachen" wollen,
  • ein öffentlich-rechtlicher Sender (ich will ja keine Namen nennen), der nach anfänglicher Unsicherheit festlegt, dass es "das Virus" heißen muss, ...

das sind alles gute Gründe, sich mit der Frage zu beschäftigen, die Stefan Dollinger stellt. Der Autor, als Linguistikprofessor an einer kanadischen Universität tätig, liefert mit dem Buch einen leichten Einstieg in die sprachwissenschaftlichen Aspekte der Frage nach Sprache und Dialekt sowie sprachengeschichtliche Hintergründe, die auch ein bisschen verständlicher machen, warum die gemeinsame Sprache sich in verschiedenen deutschsprachigen Gebieten so unterschiedliche Entwicklungen genommen hat. Er verfolgt dabei das Anliegen, die Leser:innen selbst zu einer Urteilsbildung zu befähigen.

So erfährt man viel mehr als nur, warum es in Österreich "der Virus" heißt und in Deutschland "das Virus" und hat dabei eine amüsante und kurzweilige Lektüre.

Dollinger, Stefan: Österreichisches Deutsch oder Deutsch in Österreich? Identitäten im 21. Jahrhundert,  new academic press: Wien, 2021 (3. Auflage).

 

Mittwoch, 15. August 2018

Konsumtrottel - Sepp Eisenriegler

Hinter dem provokanten Titel verbirgt sich eine kompakte, leicht und flüssig lesbare Zusammenfassung der Erfahrungen Sepp Eisenrieglers aus dem Reperatur- und Service-Zentrum R.U.S.Z. mit den inzwischen schon weit über die bloße geplante Obsoleszenz hinausgehenden Praktiken und Techniken zur Förderung des Absatzes von Neugeräten.
Wer sich länger mit dem Autor unterhalten hat oder gar seine Vorträge und Interviews verfolgt, wird nicht viel substantiell Neues erfahren und bekommt in diesem Buch eher eine kompakte aber ausreichend detaillierte Zusammenfassung. Alle jedoch, denen das Themengebiet der Haltbarkeit von Elektrogeräten neu ist, haben mit diesem Buch einen leichten Einstieg in die Materie.
Unterhaltsam und durchaus interessant schildert Sepp Eisenriegler die Erfahrungen vom ersten Kontakt mit einem Servicetechniker bis zu professionell angelegten Versuchen im Rahmen seines Unternehmens und zeichnet dabei eine Facette der Entwicklung zur Entmündigung der Konsumenten nach. Der eine oder andere bundesdeutsche Unterton ("das Teil") in seinem sonst guten Standardösterreichisch sei ihm da verziehen. Abschließend bietet er praktische Tipps, die möglicherweise sowohl den Kontakt mit dem Service-Techniker als auch den verfrühten Kauf von neuen Geräten verhindern können.

Eisenriegler, Sepp: Konsumtrottel. Wie uns die Elektro-Multis abzocken und wie wir uns wehren, edition a: Wien, 2016. ISBN 978-3-99001-183-6

Montag, 6. Februar 2012

Dawkins Gotteswahn. 15 kritische Antworten auf seine atheistische Mission

Die Herausgeber Kurt Appel und Rudolf Langthaler legen unter dem Titel Dawkins' Gotteswahn. 15 kritische Antworten auf seine atheistische Mission eine Sammlung von Beiträgen aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen vor, in denen auf Richard Dawkins' God Delusion - in der deutschsprachigen Übersetzung: Der Gotteswahn - aber auch auf das Umfeld, in dem es zu lesen und zu sehen ist, eingegangen wird.
Die Vielfalt der Beiträge einerseits und die Unterschiedlichkeit der Perspektiven und Zugänge andererseits machen diesen Sammelband lesenswert - nicht nur für ExpertInnen und jene, die sich dafür halten, sondern auch und gerade für jene, denen die einleuchtende Plausibilität der Thesen des missionarischen Atheismus schon einmal ein bisschen zu plausibel vorgekommen ist.

 Peter Strasser: Verletzte Gefühle und helle Köpfe. Ein Plädoyer für Begriffsstutzigkeit


Der Grazer Philosoph Strasser stellt die Brights, wie sich die Bewegung um Dawkins selbstbewusst nennt, etwas näher vor. Ein leicht ironisches aber durchaus ernstzunehmendes Plädoyer dafür, die von den Brights angeprangerte Begriffsstutzigkeit aller Andersdenkenden als eigene philosophische Haltung zu etablieren ist dann die logische Schlussfolgerung aus den Erkenntnissen des ersten Teils, denn die Fragen zu stellen, die man einfach nicht stellt, ist Ausdruck der menschlichen Freiheit und jener der Wissenschaft.
 "Was die Brights sind, definieren die Brights ausschließlich selbst." - S.19
Klaus Müller: Theismus unter Dauerbeschuss. Gottesglaube im Visier gegenwärtiger Kulturkritik

Der Beitrag des münsteraner Theologen und Philosophieprofessors Klaus Müller bietet einen Überblick über die Entstehung des Atheismus und die jüngere, atheistische Literatur. Damit legt Müller wahrscheinlich den umfassendsten Literaturbericht zum militanten Atheismus vor, legt dann aber noch die Finger in die offenen Wunden der Theologie, indem er jene Versäumnisse benennt, die seiner Ansicht nach das Entstehen solcher Argumentationsweisen begünstigt bzw. teilweise auch erst ermöglicht haben.

Rudolf Langthaler: Warum Dawkins' "Gotteswahn" die Gottesthematik und gleichermaßen den Anspruch der traditionellen Gottesbeweise in grundsätzlicher Hinsicht verfehlt

Der Wiener Professor für Christliche Philosophie, Rudolf Langthaler, steuert selbst einen Beitrag bei, derzugleich auch der umfangreichste des Buches ist. Detailliert stellt er dar, wie Dawkins an allem vorbeigeht, was abendländisches, aufgeklärtes Denken bedeutet. Die erkenntnistheoretischen Scheuklappen Dawkins werden analysiert und es wird erklärt, warum Dawkins etwas gegen AgnostikerInnen hat und was Dawkins bei Kant zu seiner Thematik lesen hätte können.

Kurt Appel: Ursprung und Defizite von Dawkins' Religionsbegriff oder: Warum Dawkins die Religion aus seinen Voraussetzungen heraus nicht verstehen kann

Der Wiener Fundamentaltheologe liefert im Anschluss daran eine Zusammenfassung und kritische Würdigung von Dawkins' Mem-Theorie, die innerhalb des Denksystems des Naturwissenschafters - so Appels Resümee - genau jene Funktion erfüllt, die dieser selbst der Religion unterstellt: das schädliche und unerwünschte Beenden des Fragens und Forschungsdranges.

Jakob Deibl: Der Gotteswahn und der Umgang mit der Bibel

Deibl, ebenfalls Wiener Fundamentaltheologe, zeigt auf, wie Dawkins nicht nur einen konsequenten Bibelfundamentalismus verfolgt, sondern auch die wissenschaftliche Befassung mit dem Studium von Textgattungen und anderen kulturwissenschaftlichen Fragestellungen lächerlich macht, indem er diesen Beliebigkeit vorwirft.

Ludger Schwienhorst-Schönberger: Ein atheistisches Buch? Richard Dawkins' "Der Gotteswahn" aus der Sicht eines Alttestamentlers

In eine ähnliche Richtung entwickelt sich der Beitrag des Wiener Alttestamentlers, der verkrampft versucht, eine differenzierte Sicht zu entwickeln. Die mit Dawkins' fundamentalistischer Sicht einhergehende Ausblendung jeglicher Art von Kulturwissenschaften und Geisteswissenschaften wird nur implizit ausgeführt - scheinbar braucht jeder Sammelband auch ein paar Seiten zum Überblättern.

Martin Stowasser: Si tacuisses ... Richard Dawkins' "Der Gotteswahn" aus der Sicht eines Neutestamentlers

Stowasser bringt in seinem Beitrag das Kernproblem des fundamentalistischen Umgangs mit der Schrift auf den Punkt - und damit auch die Schwierigkeiten, die Richard Dawkins mit der Bibelforschung hat: Die biblischen Gottesbilder sind vielfältig, die ethischen Normen der biblischen Texte zeigen eine Entwicklung und keine punktuellen Verfügungen. Dafür bringt Stowasser Beispiele, erläutert die wissenschaftlichen Forschungsergebnisse in allgemein verständlicher Sprache und zeigt schließlich die Zusammenhänge zur Ausgangsfrage auf, nicht ohne darauf einzugehen, dass das Neue Testament auch einen deutlichen Widerspruch zu naivem Fortschrittsoptimismus bietet.

Ulrich J. Körtner: Evolution, Ethik und Religion. Zur Auseinandersetzung mit Richard Dawkins.

Der bekannte evangelische Ethiker Körtner steuert einen Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 2009 bei, womit er im Durchgang durch das Buch ein neues Fass öffnet: Ethisches Verhalten und Religion. Dabei diskutiert er auch die Frage nach einer Evolutionären Ethik und den Zusammenhang von Religion und Gewalt.

Christian Illies: Moral und Gene. Wo Dawkins recht hat, hat er recht.

Der Bamberger Philosoph Christian Illies unterzieht Dawkins einer logischen Untersuchung und liefert damit eine Systematik seiner Thesen, wie sie in dieser Kompaktheit wahrscheinlich noch nicht vorlag. Diese Thesen werden dann überprüft und diskutiert, wobei das Ergebnis gut argumentiert aber wenig überraschend ausfällt.
"Statt Evidenzen und Argumenten bietet er Anekdoten und Appelle." - S.292
 Stattdessen zeigt Illies aber (in zumeist recht amüsanter Weise) anhand der 38 Kunstgriffe für den Erfolg einer Rede nach Arthur Schopenhauer, was vermutlich den Erfolg des Dawkinschen Schrifttums zu dieser Thematik ausmacht.

Philip Clayton: Is it really Biology versus Religion? Looking for Dawkins' real Case against Religion.
Der Claremonter Philosoph Clayton liefert eine interessante Gegenüberstellung: Dawkins Behauptungen, die Beschaffenheit seiner Argumente und wie er argumentieren hätte müssen. Selbstverständlich werden auch diese Argumente noch einer kritischen Untersuchung unterzogen. Das Ergebnis: Naturwissenschaft kann nicht im Widerspruch mit religiösen und spirituellen Antworten auf die Welterfahrung des Menschen stehen, ganz im Gegenteil macht sie diese noch signifikanter.


Friedrich Schaller: Dawkins' Gotteswahn aus der Sicht eines Biologen
Der emeritierte Wiener Zoologe Schaller steuert einen Beitrag zum Sammelband bei, der für die Wiener Zeitung im Jahr 2008 geschrieben wurde: Atheismus als Ersatzreligion. Leicht und flüssig lesbar, ohne philosophische Tiefen (aber auch ohne signifikante Untiefen) hätte dieser Artikel hervorragend auch an den Beginn des Buches gepasst.


Ulrich Kattmann: Wenn Wissenschaft zur Religion wird. Gott als wissenschaftliche Hypothese.
Der Oldenburger Emeritus stellt sich dem Problem aus der Sicht eines Biologen, der seine methodischen Grundlagen und wissenschaftstheoretischen Voraussetzungen kennt und - was noch wichtiger ist - deren Grenzen erkennt. Eigentlich nur saubere Wissenschaftlichkeit - was verwundert ist dabei, dass man in den naturwissenschaften Bücher und Artikel darüber schreiben muss. Kattmann schließt mit einer Anekdote (oder einem Witz?) über eine Wissenschafterkonferenz zur Frage, ob Gott existiere: Am Ende wird ein alter Rabbi, der die ganze Zeit über kein Wort gesagt hat, nach seiner Meinung gefragt:
"Wissen Sie, Herr Vorsitzender, Gott ist so groß: Er hat es nicht einmal nötig, zu existieren." - S.339

Herbert Pietschmann: Der Quantifizierungs-Wahn. Replik auf Dawkins' Buch "Der Gotteswahn"
Der Wiener Physiker Pietschmann gehört wohl zu den Experten für die Theorie des naturwissenschaftlichen Denkens. So überrascht es auch nicht, dass sein Beitrag mit logischen Skizzen und kontextualisierten Argumentationsmodellen durchzogen ist, die unaufgeregt und sachlich zu den Schwächen der Thesen des militanten Atheismus (wie auch zu denen der Lieblingsgegner) führen. Pietschmann scheut sich auch nicht, in seinen Schlussfolgerungen die Unredlichkeiten Dawkins' deutlich zu machen und explizit zu benennen.

Walter Thirrig: Berkungen zum Buch "The God Delusion" von Richard Dawkins
Anders macht die Thirrig, der in einer Präambel diese Unsachlichkeiten ausblendet und formallogische Argumentationen vorlegt. 
Christopher Meiller: Worte des Wahns. Für eine Gottesrede in Dawkins'schen Spuren
Der junge Wiener Philosoph und Fundamentaltheologe Meiller plädiert im letzten Beitrag für das Lernen von Dawkins: Sein Erfolg als populärwissenschaftlicher Autor gründet - so die These - in der Perfektion, mit der er die Techniken des Popularisierens anwendet: Reduktion der Informationsfülle und Narration statt Argumentation.

Sonntag, 13. Dezember 2009

Tot und heilig? - Hubertus Lutterbach

In Form eines wissenschaftlichen Essays präsentiert der Essener Christentums- und Kulturhistoriker Hubertus Lutterbach seine Untersuchung mit dem Titel Tot und heilig? Personenkult um "Gottesmenschen" in Mittelalter und Gegenwart. Im Einband werden zwei Personen bereits als zentrale Figuren herausgestellt: Papst Johannes Paul II. und Lady Diana zieren den Umschlag des Buches.
Es handelt sich hier um eine geisteswissenschaftliche Arbeit mit kulturwissenschaftlichen Zügen, in der es um die verschiedenschichtigen und pluriformen Aspekte der spontanen Heiligsprechung des verstorbenen Papstes durch das Kirchenvolk in Rom und anderorts geht, die mit einer Untersuchung über die Rolle der deutschen Medien bei diesem Heroisierungsprozess verbunden ist und dann auf Vergleichsmaterial ausgreift.

Lutterbach geht vom Heroenverständnis der Antike aus und verwendet - für kulturwissenschaftlich aber nicht religiös Interessierte wahrscheinlich eher irritierend - von Anfang an das Wort "Gottesmensch". Nach einer kurzen, überleitenden Erörterung über das Verständnis von Heiligkeit in den mittelalterlichen Heiligenviten steigt er in die Untersuchung des "subito santo"-Rufes nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. ein.

Die Aspekte des Lebens und Sterbens jenes Papstes, der für einen Gutteil der Bevölkerung westlicher Staaten der Inbegriff des Begriffes Papst war (heute Dreißig- bis Vierzigjährige haben seine Vorgänger gar nicht oder kaum bewusst wahrgenommen und erst seit viereinhalb Jahren sehen sie eine andere Person in dieser Funktion), splittert der Autor dann nach Kriterien für einen "Gottesmenschen" auf, die aus der einleitenden Analyse hervorgegangen waren. Dies tut er sehr sorgfältig und präzise, teils so akribisch, dass die Unterscheidungen zwischen den einzelnen Aspekten verschwimmen und beim Lesen immer wieder kleine déjà-vu-Erlebnisse auftreten (auch wenn er sich an keiner Stelle tatsächlich wiederholt).
Als Quelle dafür verwendet Lutterbach die Berichte in ausgewählten, deutschen Zeitungen und Zeitschriften, die in der Woche nach dem Tod des Papstes erschienen sind.

Was nach diesem umfangreichen Hauptteil folgt, ist ein papstgeschichtlicher Rückblick und ein Ausblick auf andere Persönlichkeiten, denen man vordergründig eine ähnliche Bedeutung zusprechen würde. Der durchaus interessante Blick auf Johannes XXIII., Lady Di und Ghandi wird allerdings durch den Versuch belastet, methodisch analog vorzugehen, was angesichts der Veränderungen der Medienlandschaft allein während des Pontifikats Johannes Paul II. schon vorweg das Ergebnis erahnen lässt.

Stichwort Ergebnis: Getrübt wird der Eindruck der Untersuchung von der Tendenz, bei den Vergleichsuntersuchungen immer wieder mehr oder weniger bestimmt ein Resultat zu erzielen und dieses dann mit den Beschreibungen aus der umfangreichen und genauen Untersuchung der medialen Wahrnehmung des verstorbenen Papstes in den deutschen Medien in Verhältnis zu setzen.

Das Buch, sorgfältig gearbeitet mit genauen Endnoten und einer umfangreichen Literaturliste, stellt eine durchaus interessante Lektüre für Zwischendurch dar, bei der man sich nicht scheuen sollte, auch einmal ein paar Kapitel diagonal zu lesen oder ganz zu überblättern. Zum Verständnis über die Formen heutiger Personenverehrung (und ihres anachronistischen Charakters in Zeiten naturwissenschaftsdominierter Rationalität) trägt es mehr bei als die Massen von "Mythos N.N."-Publikationen und -Dokumentationen, mit denen die Öffentlichkeit regelmäßig an irgendwelchen Jahrestagen überschüttet wird. Zudem ist es eine interessante Zusammenstellung der Geschichten und Legenden rund um Karol Wojtyła, doch das Interesse, das es durch seinen Untertitel weckt, kann es nicht zufriedenstellen.

Lutterbach, Hubertus.: Tot und heilig? Personenkult um "Gottesmenschen" in Mittelalter und Gegenwart, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), Darmstadt 2008. ISBN-978-3-534-20841-8

Mittwoch, 20. Mai 2009

Sind Evangelikale Fundamentalisten? - Eckehard J. Schnabel

Das 1995 erschienene Büchlein Sind Evangelikale Fundamentalisten? von Eckhard J. Schnabel bietet eine leicht verdauliche und verlässliche Einführung in die Begriffsfelder, die im Titel schon angesprochen sind: Evangelikalismus und Fundamentalismus.

Nach bestimmten Erfahrungen, besonders mit den lautestene und aktivsten Gruppen innerhalb des Evangelikalismus, fragt man sich zwar, wie man hinter einen solchen Buchtitel noch mehr als zwei Buchstaben Inhalt anbringen kann, doch Schnabel schafft das ohne Mühe:

Begriffsdefinitionen für Evangelikalismus und Fundamentalismus bilden den Anfang, eine kleine Defensio des Fundaments bildet danach die Überleitung zu einer Analyse der evangelikalen Szene, die durchaus wohlwollend ausfällt.

Für jemanden, der sich bereits mit dem nordamerikanischen Christentum auseinandergesetzt hat, bietet das Buch bestenfalls das ein oder andere Zitat, Interessierten allerdings ist die Lektüre durchaus zu empfehlen, da es eines der wenigen Werke zum Thema ist, das trotz einer gewissen Fundierung - das Niveau des Populärwissenschaftlichen verlässt das Buch allerdings kaum - eigentlich nie in den für andere Autoren schier unvermeidlichen Zynismus verfällt.

Meinen ersten Reflex, sofort nachzuforschen, wie nah der Verfasser eventuell der evangelikalen Szene stünde, habe ich bis jetzt erfolgreich unterdrückt und aus Zeitgründen wird sich das auch nicht so schnell ändern. Man muss nicht alles wissen.

Schnabel, Eckhard J.: Sind Evangelikale Fundamentalisten?, Brockhaus, Wuppertal 1995. ISBN: 978-3-458-71005-9 oder auch: ISBN-3-417-29067-8

Freitag, 17. April 2009

Amerikanische Religion - Michael Hochgeschwender

Ich erlaube mir gleich vorweg zwei Sätze, um Missverständnissen über dieses Buch und seine Rezension vorzubeugen: Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus lautet der volle Titel des Essays von Michael Hochgeschwender - damit ist schon einmal der erste denkbare Fehlschluss aus dem Kurztitel ausgeräumt: Thema dieses Essays ist das Christentum in seinen spezifisch amerikanischen Ausprägungen, andere Religionen werden darin nicht behandelt. Zur zweiten möglichen Erwartung, dass Amerika als Kontinent den geographischen Rahmen bilden könnte, sei auch gleich eingangs bemerkt: Hochgeschwender behandelt die religiöse Situation in den USA. Manche mögen beides für selbstverständlich halten, ich tue das nicht und möchte es daher schon vorher klären.

Nach dem Ende der Ära Bush II scheinen manche europäische BeobachterInnen den Fehler machen zu wollen, und die Bedeutung der evangelikal-fundamentalistischen Szene für zurückgehend zu halten. Dafür gibt es keine Anzeichen, auch wenn sich die Wahl von Barack Obama sicherlich auch auf die Rolle der Evangelikalen in den USA auswirken wird.
Das Buch von Michael Hochgeschwendner ist 2007 erschienen und dieses Erscheinungsdatum liegt wohl schon nach der Blütezeit der Ära Bush - die wichtigen Mid-Term-Elections waren verloren, die Umfragewerte waren tiefer denn je, aber es waren auch die wichtigsten Stellen - vor allem die Richterstellen am Obersten Gerichtshof - längst nachbesetzt.
Der Aktualität dieses Buches tut das alles aber keinen Abbruch, und man kann getrost behaupten, dass Hochgeschwendner hier einen umfassenden und breit angelegten Durchgang durch die Geschichte des spezifisch nordamerikanischen Christentums bietet, den man in der Dichte wohl nicht so schnell anderswo finden wird.

Ausgehend von der Geschichte des Calvinismus der ersten Siedler zeigt er auf, wie Zuwanderung, politische Konflikte (Antikolonialismus, Abolutionismus, ...) und die verschiedenen Gesellschaftskonzepte wie Puritanismus und viktorianische Vorstellungen zusammen mit verschiedenen Konflikten wie dem Antikatholizismus, der Prohibition und der schon in den vergangenen Jahrhunderten in den USA offen ausgelebten Lust an der sozialen Disziplinierung Anderer verschiedene Prozesse von Instutionalisierung und Selbstkommodifizierung einerseits und von Erweckungsbewegungen andererseits hervorgebracht haben, die dann die schier unüberschaubare denomitionale Vielfalt des Christentums hervorbrachten.
Verschiedene Wechselspiele, die zeitweise offen und zeitweise latent wirksam waren, wie jenes zwischen Marktkonformität und Selbstkommodifizierung einerseits und Erweckungsbewegungen andereseits, jenes zwischen Heilsexklusivismus und Mission, aber auch zwischen politischer Parteilichkeit und Äquidistanz, Regionalität und Universalität, Norden und Süden, Stadt und Land kennzeichnen diese Entwicklung und führen zur Entstehung der verschiedenen Denominationen, die unter den Begriffen Evangelikalismus, Pfingstbewegung und Fundamentalismus zusammengefasst sind.

Es scheint schier unmöglich, hier eine durchschaubare und verständliche Kurzfassung abzugeben. Wer über die Geschichte des nordamerikanischen Christentums Bescheid wissen will, wird jedenfalls um diese Lektüre kaum herumkommen.

Somit beschränke ich mich hier auf ein paar Äußerlichkeiten: das Buch ist in einer Präzision gearbeitet, die noch selten wo zu finden war - immer wenn man vermeinte, einen Fehler entdeckt zu haben, stellte sich heraus, dass es sich um eine durchdachte und ausgefeilte grammatikalische Konstruktion handelt. Die Sprache ist leicht verständlich, wenngleich man bisweilen verschiedene Begriffe (vor allem aus dem Englischen, aber auch Abkürzungen und Gruppenbezeichnungen) außerordentlich gut unterscheiden können muss.
Insgesamt eine äußerst informative und empfehlenswerte Lektüre, aber halt kein Buch für einen Nachmittag am Pool.

Hochgeschwender, Michael: Amerikanische Religion. Evangelikalismus, Pfingstlertum und Fundamentalismus, Verlag der Weltreligionen / Insel-Verlag: Frankfurt am Main und Leipzig, 2007. ISBN: 978-3-458-71005-9 oder auch: ..., Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007 ISBN-10 3458710051 ISBN-13 9783458710059